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Ich möchte Ihnen an dieser Stelle Informationen zur kindlichen Sprachentwicklung und ihren Störungen anbieten. Wenn Sie sich Sorgen um die Entwicklung Ihres kleinen Kindes machen, sprechen Sie mit Ihrem Kinderarzt darüber. Auch ein Beratungsgespräch oder eine Vorstellung Ihres Kindes bei einer Sprachtherapeutin oder einem Sprachtherapeuten kann im Zweifel sinnvoll sein. Hierfür müsste der Arzt jedoch eine Verordnung für eine, oder besser, falls das Kind zunächst keinen Kontakt aufnehmen kann, drei Sitzungen ausstellen.

 

 

 

Die normale kindliche Sprachentwicklung

 

Am Beginn des Spracherwerbs, möglicherweise schon im Mutterleib, hört das Kind die gesprochene Sprache und erkennt schnell immer mehr Muster. Schon in den ersten Lebensmonaten erkennt es die eigene Muttersprache, etwa im 4. Monat den eigenen Namen, nach ca. 6 bis 8 Monaten die Zusammengehörigkeit von Phrasen bzw. Satzteilen und häufige Wörter.

Nach etwa 6 Monaten beginnt das Kind zu „brabbeln“, es spricht Silben und Silbenwiederholungen. Es kommt zu „Dialogen“ mit den Erwachsenen, das Kind äußert sich in den Sprechpausen, reagiert und agiert.

 

Ab etwa 9 Monaten erweitert sich das Weltbild und das Selbstbild stark. Eine Kooperation oder ein gemeinsames Handeln mit Erwachsenen wird nun langsam möglich. Ab etwa 13 Monaten spricht das Kind erste echte Wörter, es kommt immer mehr zu handlungsbegleitenden Äußerungen. Mit ca. 18 Monaten kann das Kind durchschnittlich 50 Wörter aktiv sprechen.

 

In den darauffolgenden Monaten bis zum Alter von zwei Jahren verändert sich das Leben des Kindes sehr stark. Das Kind kann jetzt laufen, die Grenzen erweitern sich, viel neues kann entdeckt werden, Gegenstände mit den Händen an andere Orte gebracht werden usw.  Auch die innere Welt erweitert sich stark. Das Kind entwickelt innere Vorstellungen von sich und der Umgebung. Es kann sich Möglichkeiten vorstellen, „so tun als ob“. Es kann Nein sagen, um Hilfe bitten, auch Äußerungen verstehen, die sich nicht auf die aktuelle Situation beziehen.

Diese Zusammenhänge ermöglichen den Wortschatzsprung, der normalerweise in dieser Zeit stattfindet. Mit zwei Jahren kann das Kind durchschnittlich 200 Wörter sprechen, es kommt jetzt auch zu Mehrwort-Äußerungen mit Verben, Pluralbildungen usw.

 

Im dritten Lebensjahr beginnt das Kind, erst kleine, dann auch größere Geschichten zu verstehen. Es lernt, Ich zu sagen, und ist immer besser in der Lage, Zusammenhänge sinnvoll, verständlich und, angepasst an das vermutete Vorwissen der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners, zu erzählen.

Auch der Grammatikerwerb kommt jetzt sehr schnell voran, so dass normalerweise um den dritten Geburtstag mit kleinen Ausnahmen keine Grammatikfehler mehr entstehen. Der Grammatikerwerb ist abgeschlossen.

 

 

 

Störungen beim Spracherwerb

 

Leider kommt es nicht selten zu Verzögerungen und Störungen beim Spracherwerb. Bei sehr reduzierter sprachlicher Umgebung ist das wahrscheinlich zu erwarten. Wenn niemand mit dem Kind oder in seiner Umgebung spricht, kann es auch die Sprache nur schlecht erwerben. Aber Sprachentwicklungsstörungen entstehen in den allermeisten Fällen unabhängig vom Elternhaus. Ein zugewandter intuitiver Umgang mit dem Kind in den ersten drei Jahren ermöglicht normalerweise eine normale Entwicklung. Eltern sollten sich keine unangebrachten Vorwürfe machen, können aber überlegen, wie sie das Kind in seiner Sprachentwicklung fördern und unterstützen können, wenn Probleme entstanden sind.

 

 

 

Sprachentwicklungsverzögerung, „Late Talker“

 

Im Alter von 24 Monaten steht die kinderärztliche U7 an. Unter anderem wird dort der Sprachstand des Kindes ermittelt. Neben dem Gespräch mit den Eltern und möglichst mit dem Kind gibt es hierfür auch sehr gute standardisierte und normierte Elternfragebögen, die in verschiedenen Sprachen frei zugänglich sind. Als kritische Menge wird hier ein Wortschatz von 50 Wörtern angesetzt. Wenn das Kind darunter liegt, greift die Klassifikation als „Late Talker“.

Ungefähr ein Drittel der „Late Talker“ sind im Alter von 3 Jahren sprachlich unauffällig, die übrigen entwickeln eine mehr oder weniger starke Sprachentwicklungsstörung.

Es ist durchaus möglich und sinnvoll, schon mit Kindern mit etwa zweieinhalb Jahren sprachtherapeutisch zu arbeiten. Möglicherweise kann so die Ausbildung einer starken Sprachentwicklungsstörung verhindert werden oder bestimmte sprachliche Bereiche v.a. in der Grammatik früh gefördert werden, die später zu typischen und oft hartnäckigen Symptomen der Sprachentwicklungsstörung gehören.

 

 

 

Die Sprachentwicklungsstörung

 

Die Sprachentwicklungsstörung, oder auch sprachspezifische Entwicklungsstörung, ist eine Entwicklungsstörung, die nur die sprachlichen Fähigkeiten betrifft und nicht die allgmeine kognitive und emotionale Entwicklung. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sind betroffen.

Stark auffallend ist die Sprachentwicklungsstörung ab dem Alter von 3 Jahren. Die gleichaltrigen Kinder sprechen viel und fast fehlerlos, während das betroffene Kind praktisch noch gar nicht spricht, und wenn, dann kaum verständlich und mit vielen Fehlern.

Der Beginn liegt natürlich viel weiter zurück. Alle sprachlichen oben skizzierten Entwicklungsschritte wurden nur sehr eingeschränkt durchlaufen. Im zweiten Lebensjahr kommt es zu keinem Wortschatzsprung, im dritten Lebensjahr vergrößert sich die Äußerungslänge nicht, die Wörter werden nicht miteinander syntaktisch verknüpft.

Das betroffene Kind kann also nach dem dritten Geburtstag noch nicht in Sätzen sprechen, der Wortschatz ist sehr klein, nur wenige Verben werden benutzt, die Aussprache ist in vielen Fällen schlecht. Und auch das Sprachverständnis ist in den allermeisten Fällen nicht altersgemäß. Auffällig ist auch eine deutlich eingeschränkte auditive Merkfähigkeit, die es dem Kind sehr schwierig macht, auch sehr kleine Sprüche oder Lieder sich zu merken und zu wiederholen.

 

Bis zum Alter von 4 Jahren erweitern sich auch bei diesen Kindern normalerweise der Wortschatz und das einfache Sprachverständnis, so dass dann immer mehr der Dysgrammatismus das Hauptsymptom bis zum 6. Lebensjahr darstellt. Zunächst ist der Satzbau, also die richtige Reihenfolge der Wörter im Satz sehr schwierig und fehlerhaft. Ein großes Problem bleibt oft sehr lange die Formveränderungen beim Verb (Person und Zeit) und bei den Nomen und Adjektiven (Genus, Kasus, Anzahl). Ebenso schwierig bleibt meist die Auswahl der richtigen Präposition (z.B. auf, an, bei, zu). Häufig werden Wörter weggelassen. In vielen Fällen bleibt auch der Umgang mit den Zahlen nicht altersgemäß.

 

Nach der Einschulung kommt es neben Problemen beim Schreiben häufig zu einem schlechten Verstehen beim Lesen oder beim Zuhören sowie zu einer schlechten Fähigkeit, schriftlich oder mündlich etwas zu erzählen oder zu erläutern. Auch beim Fremdsprachenerwerb, beim Merken von Fachbegriffen u.ä. kann es zu Schwierigkeiten kommen. Kompetenzen, die in der gesamten Schulzeit von zentraler Bedeutung sind.

 

Die Ursachen der Sprachentwicklungsstörung sind nicht eindeutig geklärt. Es ist wohl von Hörstörungen im ersten Lebensjahr auszugehen, die den Prozess des Spracherwerbs schon ganz zu Beginn stark erschweren.

 

Ein früher Therapiebeginn mit 3 Jahren ist aus meiner Sicht sinnvoll. Neben dem Wortschatzaufbau und der Verbesserung des Sprachverständnisses kann durch häufiges Präsentieren bestimmter wichtiger grammatisch-syntakischer Einheiten, bevor das Kind überhaupt Sätze spricht, der einsetzende Dysgrammatismus oft stark gelindert werden.

 

 

 

Die Dyslalie

 

Bei der Dyslalie handelt es sich um regelmäßige Fehler bei der Aussprache aufgrund einer motorischen Einschränkung oder falscher Gewohnheit. Bestimmte Laute werden durch andere ersetzt, häufig z.B. das /k/ und das /g/ immer durch das /t/ und das /d/. Wenn nur /k,g/ und /sch/ betroffen sind und außerdem keine Sprachentwicklungsstörung vorliegt, ist keine Eile mit der Therapie notwendig. Ein knappes Jahr vor der Einschulung wäre in den meisten Fällen früh genug. Wenn jedoch mehr Laute betroffen sind, z.B. auch das /r/ und das /l/, wird man das Kind schlecht verstehen können. In diesem Fall ist ein Therapiebeginn mit 3 oder spätestens 4 Jahren sinnvoll.

 

 

 

Die verbale Entwicklungsdyspraxie

 

Unter diesem Begriff versteht man auch eine Aussprachestörung, die jedoch nicht motorisch bedingt ist. Hier liegt eine Störung der Planung der Aussprache vor. Die betroffenen Kinder können isoliert jede Bewegung mit Zunge und Lippen nachmachen, nicht aber beim Sprechen. Etwa ein Kind von 500 – 1000 Kindern ist betroffen.

 

Oft, aber nicht immer ist die verbale Entwicklungsdyspraxie kombiniert mit einer Sprachentwicklungsstörung. Dann ist die Diagnostik zunächst schwierig und erst mit etwa 4 Jahren eindeutig. In jedem Fall ist das Kind fast nicht zu verstehen und es kommt kaum zu Verbesserungen. Für die Eltern, aber auch für das Kind selbst kann dies sehr belastend und frustrierend sein.

 

Ein langer therapeutischer Prozess ist fast immer notwendig, um bis zur Einschulung die Fehleranzahl zu minimieren und die Verständlichkeit zu gewährleisten. Leider gelingt es nicht in allen Fällen, dass das Kind bis zu diesem Zeitpunkt sprachlich völlig unauffällig ist, so dass auch nach der Einschulung die Sprachtherapie fortgesetzt werden muss. Vor allem, wenn die verbale Entwicklungsdyspraxie kombiniert mit einer starken Sprachentwicklungsstörung aufgetreten ist, ist oft die Einschulung in einer Sprachheilschule sinnvoll.

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